BLOG NR. 11: SCHWELLEN-UND ZWISCHENREICHE
Dem Sterben begegnen, dass war das Thema der letzten Wochen. Im engen Familienkreis. Da ist auf einmal alles anders. Und es zeigt sich sehr deutlich, was wirklich zählt. Dasein. Raumhalten. Alltagsstruktur wahren. An einem blühenden Strauch einen tiefen Atemzug nehmen. Mit dem Enkelkind lachen.
Einer uralten Tradition folgen und eine Totenwache halten. Die ersten 15 Stunden nach dem letzten Atemzug (früher waren es drei Tage, in manchen indigenen Kulturen sogar vierzig Tage). Die Seele begleiten bei ihrem Abschiednehmen von ihrem physischen Zuhause. Einen Reisesegen sprechen/singen/tönen für den Weg zurück zur Sternenheimat. Diese Schwelle hüten zu dürfen ist so ein Geschenk. Und so ähnlich einer Geburt. Eben dieselbe Schwelle. Einmal von der Sterneheimat in die neue Körperheimat. Und eben von der Körperheimat diesen Lebens zurück zur Sternenheimat. Es war mir eine große Ehre.
Und über das eigene Leben nachsinnen. Spüren, was mir noch wichtig ist. Die innere Kompassnadel auf Lebensfreude ausrichten. `Joy of Life` von Henri Matisse als ausdrucksstarke Erinnerung wählen und gut sichtbar aufhängen.
Meine Patientenverfügung erneuern und gegebenenfalls nachbessern.
Möchte ich Wünsche festlegen für meine Beerdigung? Wenn ja: welche?
Mein Testament bestätigen, gegebenenfalls nachbessern. Was möchte ich gerne gewahrt wissen? Bilder und wenige Gegenstände, welche schon seit Generationen in unserer Familie weitergegeben werden. Darf ich das festlegen? Oder nur wünschen und meinen Kindern und Enkeln selber überlassen, was sie davon bewahren wollen?
Und von meinen persönlichen Heiligtümern? Meine Trommeln, meine Flöte, meine Rassel? Der Gong … meine Kinderfreunde, die drei Steiftiere, mehr als ein halbes Jahrhundert alt. Jetzt schon. Der Fundstock aus Cuxhaven, aus meinem Heimatmeer. Mein Kraftstab. Das Tänzerin-Stoffbild.
Und was gilt es noch zu tun? Das längst versprochene Familienbuch. Fotobücher aus den Performancebildern. Meine Lebensgeschichte, meine Traumweberey in Worte fassen um sie so weiter zu geben an die nächste Generation. Meine Tagebücher datieren.
Und für mich am schwersten: wie wird es mit meinem Weggefährten gehen? Keine Patientenverfügung da. Kein Papier, welches mich berechtigen würde ihn irgendwie zu begleiten. Wir sind nicht verheiratet. Seine Familie wohnt 300 Kilometer entfernt. Auch da null vorbereitende Gesprächskultur. Und er schwer Lungenkrank ...
Macht mich so dankbar wie es jetzt hier in der Familie gehen konnte. Und wie ich mit meinem Bruder bei unseren Eltern sanft und friedvoll zusammen wirken konnten.
Und wie oft ich schon in meinem Leben an dieser Schwelle gewacht habe. So viele Menschen schon verabschiedet. So viele Beerdigungen. Keine wie die andere. Auch an dieser letzten Wegstation ist das Leben vielfältig. Und frei in den Gestaltungsoption.
Das hat etwas Tröstliches für mich. Und zeigt mir wieder und wieder:
wenn wir echt und authentisch miteinander sind und sprechen, lassen sich alle Lebensstationen friedvoll und sanftmütig gestalten. Dürfen große und intensive Gefühle gelebt werden und sind gehalten, begleitet, geteilt. Von Herz zu Herz, von Mensch zu Mensch, von Erde zu Himmel und vom Himmel zu Erde.
DANKE JA.